Aus den Erinnerungen des Marineingenieurs Hans Branscheid:
Wir nehmen Abschied von den Kameraden und gehen mit dem Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit von Boot und Besatzung in See. Dass auch jetzt wieder ein jeder seine Pflicht bis zum letzten erfüllen wird, ist klar. Der Befehl für das Boot sah gleiche Tätigkeit irgendwo im Atlantik vor jedoch mit dem Unterschied, dass diesesmal der Anmarschweg nicht über die Shetlands, sondern aus Zeit- und Brennstoffersparnisgründen durch den Kanal erfolgen sollte. Das ist gemessen an den Erfahrungen der kleinen im Kanal arbeitenden Boote, für ein grösseres Boot bedenklich und uns unsympathisch. Es ist bekannt, dass zwischen Dover und Calais ein U-Bootssperrnetz von den Engländern ausgelegt ist, und es ist auch bekannt, dass an diesem, es ist an schweren Balkenträgern aufgehängt, feindliche Zerstörer auf und ab stehen, um gegebenenfalls im Netz festgefahrene U-Boote durch Wasserbomben zu vernichten.
In Ausführung des Befehls ist von uns beabsichtigt, bei einbrechender Dunkelheit die Sperre über Wasser mit hoher Fahrt zu passieren und somit zwischen Dover und Calais durchzubrechen. Beide Dieselmaschinen laufen zu gegebener Zeit hohe Fahrt, die sich beim Anblick der Feuer von Dover und Calais noch langsam steigert. Die Dämmerung ist schon vollständig und wir sehen scharf nach den Netzträgern aus, um ein solches Ding nicht etwa zu rammen. Da liegt plötzlich ein schwarzer Schatten rechts voraus. Ein feindlicher Zerstörer ist erkannt. “Alarm! Schnelltauchen!“ jetzt tritt wiedermal die Notwendigkeit heran, das Boot in der kürzesten Zeit auf Tiefe zu bringen.
Wenn in solchen Fällen, wo es um die Wurst geht, in der Maschine und in der Centrale nicht jeder Befehl klar gegeben wird und nicht jeder Handgriff sitzt, ist es in vielen Fällen um das Boot geschehen.
Das Boot war durch den Zerstörer gezwungen worden, vor dem Netz zu tauchen. Das war keineswegs erfreulich. Gesehen worden waren wir anscheinend nicht, aber unser aller unausgesprochene Ahnung erfüllte sich sofort. Beim auf Tiefe gehen gehorcht das Boot nicht mehr, mit dem Bug bleibt es auf 18 m hängen, mit dem Heck sackt es auf den Grund. Wir liegen in bedenklicher Schräglage fest im Sperrnetz. Das ist ausgesuchtes Pech. Ruhe und Überlegung können hier nur helfen. Das Boot muss frei werden, wir können hier nicht elend verrecken. Es ist meine Absicht, das Boot möglichst schwer zu machen, um das Netz zu zerreissen. Die Massnahmen werden sofort getroffen, da schnell gehandelt werden muss. Die gesamte Mannschaft mit Ausnahme des für die Maschinenbedienung notwendigen Personal und dasjenige der Centrale wird nach vorn in den Bugraum befohlen. Das gesamte achtere Trimmwasser wird gleichfalls nach vorn genommen und den Reglertanks Wasser langsam zugeflutet. Das Boot rührt sich zunächst nicht, es bleibt eisern in gleicher Schräglage hängen. Um die Belastung des Netzes weiter zu steigern, wird der Reglertank vollgeflutet. Zunächst scheint auch den noch keinen Erfolg zu versprechen. Da, nachdem 5 Tonnen Reglerwasser im Boot sind, d.h. in den Reglertanks, reisst das Netz. Das Boot fällt infolge des hohen Untertriebes hart auf den Grund und erschüttert stark. Eine sofortige Nachprüfung der elektr. Batterie ergibt, dass alle Zellen dicht geblieben sind und sich erstickende Gase im Boot nicht bilden können. Das ist zunächst das Entscheidende über Leben und Tod der Besatzung. Das Boot liegt auf ebenem Kiel. Alle bis jetzt getroffenen Massnahmen werden nun zurückgemacht und der Gleichgewichtszustand des Bootes wiederhergestellt.
Noch sind wir nicht frei und die Durchfahrt durch das eben gerissene Loch steht noch bevor. Durch weiteres Lenzen der Reglertanks löst sich nun das Boot langsam vom Grunde und mit beiden E-Maschine "kleine Fahrt voraus“ versuchen wir, durch das Loch im Netz durchzukommen. Auf eine Bootslänge gelingt es, dann legt sich das Boot aber erneut, dem Tiefenruder nicht mehr gehorchend, auf den Grund. Nun besteht der Verdacht, dass sich die Schrauben in fliegenden Tauen des Netzes verwickelt haben können. Das wäre fatal und würde mit grösster Wahrscheinlichkeit den Untergang des Bootes herbeiführen, denn es ist in solchen Fällen wenig Aussicht vorhanden aus den stählernen Fangarmen freizukommen. Gewaltsame Befreiungsversuche hätten gemacht werden müssen und das Reissen und Zerren am Netz wäre über Wasser nicht unbeobachtet geblieben.
Bei angeblasenem Heck, d.h. der hintere Teil des Bootes wird durch Anblasen der hinteren Tauchtanks mit Pressluft angehoben, werden nun die E- Maschinen kurz angeworfen. Die Belastung am Amperemeter ist normal, die Schrauben sind also frei, Gott sei Dank. Das Achterschiff wird geflutet, sodass das Boot wieder auf ebenem Kiel zu liegen kommt. Erneut lösen wir nun das Boot vom Grunde. Durch Lenzen der Reglertanks hebt es sich langsam und mit "kleiner Fahrt" beider E- Maschinen kriechen wir langsam über den Grund. Wir scheinen alles überstanden zu haben, denn ohne Störung haben wir nun endlich freie Fahrt. Der Alpdruck, der so schwer lastete, ist gewichen.
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